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16 Material zu David Harvey: Flexible Akkumulation durch Urbanisierung
David Harvey deutet die postmoderne Architektur der 1980er Jahre als kulturellen Ausdruck des Postfordismus und damit der damaligen Krise amerikanischer Städte. Indem er zwei neue Entwicklungen in die Diskussion um die Städte einführt und aufeinander bezieht, besteht er darauf, dass Diskurse und kulturelle Praktiken nicht von wirtschaftlichen und politischen Prozessen getrennt werden können: Das architektonische Phänomen der Postmoderne und das ökonomische Projekt der flexiblen Akkumulation müssen zusammen gelesen werden.
Ergänzend zu An Architektur 16 und 17 erscheint das Interviewheft:
Steinbrüche der Theoriebildung. Manuel Castells, David Harvey und die Widerstände in der kapitalistischen Stadt.
Ein E-Mail Gespräch zwischen Regina Bittner, Jürgen Essletzbichler, Roger Keil, Margit Mayer und Christian Schmid sowie Manuel Castells und David Harvey.
Der euphorischen Behauptung einer befreienden Postmoderne, die sich einer dogmatisch gewordenen Moderne widersetzt und einem sinnentleerten Funktionalismus die Vielfalt subjektiver Narrationen, Doppeldeutigkeiten und spielerischer Formen entgegenhält, widerspricht David Harvey in seinem Text „Flexible Akkumulation durch Urbanisierung“ aus dem Jahr 1987 entschieden. Während Charles Jencks das Ende der architekturgeschichtlichen Moderne plakativ mit der Sprengung der Sozialwohnungsbauten in Pruitt-Igoe gleichsetzt, markiert für Harvey dieses Ereignis den Zeitpunkt, an dem „eine ganze Welt des Denkens und der Kultur, der Ökonomie und der Institutionen, der Politik und des Verständnisses für Zusammenhänge zu zerbröckeln“ scheint. Indem er aber genau diese Zusammenhänge betrachtet und rekonstruiert, interpretiert Harvey die vielbeschworene postmoderne Differenz weniger als eine subversive Errungenschaft emanzipativer Bestrebungen, sondern sieht sie als Folge einer sich verändernden kapitalistischen Raum- und Symbolproduktion.
Auch knapp zwanzig Jahre nach ihrem Erscheinen ist Harveys theoretische Skizze zum Verhältnis von Ästhetik, Raum und Ökonomie in der Stadt eine richtungsweisende Grundlage für das Verständnis, warum heutige Städte so funktionieren und aussehen, wie sie es tun. Obschon fest in der marxistischen Kritik der politischen Ökonomie verwurzelt, ist es nicht Harveys Ziel, Fragen von Kultur und Vergemeinschaftung aus der Logik des Kapitals abzuleiten oder sie gar auf diese zu reduzieren. Vielmehr geht es ihm darum, den umkämpften, durch und durch politischen Charakter des Verhältnisses der verschiedenen Momente des Urbanisierungsprozesses zu erforschen und seine Auswirkungen auf die gebaute Umwelt zu verstehen. Die Lektüre des Textes verdeutlicht, dass dieses Unterfangen nicht voraussetzungslos ist, sondern auf dezidierten, zum Teil an anderer Stelle bereits ausgearbeiteten theoretischen Positionen aufbaut.
Neben Fredric Jameson war Harvey in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre der zweite wichtige marxistische Theoretiker, der sich des kulturell-ästhetischen Phänomens der Postmoderne angenommen und es als Korrelat zur aktuellen Entwicklung kapitalistischer Vergesellschaftung interpretiert hat. Gemeinsam ist beiden, dass sie die Postmoderne auch und gerade auf die Veränderungen der Raumerfahrung beziehen. In “The Condition of Postmodernity” prägt
Harvey
1989 den Begriff der time-space compression. Diese Raum-Zeit-Verdichtung mittels Verkehrs- und Informationstechnologie führt er auf die kapitalistische Notwendigkeit zurück, in der Konkurrenz die Umschlagzeit zu verkürzen. Weil dabei räumliche Distanzen zunehmend an Bedeutung verlieren, kommt es zu der von Marx in den „Grundrissen“ angesprochenen Vernichtung des Raums durch die Zeit. Doch trotz just-in-time Produktion, Cyberspace und sekundenschneller Finanztransaktionen kommt es zu keiner Auflösung der räumlichen Ordnung in ortlose Kapital-, Waren- und Zeichenströme. Dem stehen laut Harvey räumlich fixierte Investitionen in fixes Kapital und Infrastruktur entgegen, lokale Wachstumskoalitionen, die diese Werte (und ihre eigene Position) verteidigen, und schließlich die lokalen Bindungen der Subjekte.
Harveys Analyse der Postmoderne basiert auf seiner Rekonstruktion von Marx Kritik der politischen Ökonomie in „The Limits to Capital“ (1982), in der er die Bedeutung von Raum für die krisenhafte kapitalistische Akkumulation herausarbeitete. Angesichts des Aufkommens neuer Themen und Theorien, vor allem aus dem Bereich der Kulturwissenschaften, hatte er zudem seit dem Essay „Monument and Myth“ (1979) seinen Blick in Richtung der symbolischen Dimensionen des Städtischen erweitert.
Der hier veröffentlichte Text verbindet erstmals diese unterschiedlichen Aspekte auf so präzise Weise, dass er auch fast zwanzig Jahre nach Erstveröffentlichung nichts von seiner Aktualität verloren hat. Denn auch wenn der „Postmoderne“ kaum ein Hahn mehr nachkräht: Die Dynamik der spezifisch urbanen Konstellation von Ästhetik, Raum und Ökonomie, die Harvey skizziert, ist in den Städten nach wie vor am Werk.
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